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Arbeitszeiterfassung in der Schule: Es gibt viel zu tun - schieben wir’s auf!?

Wie gehen das Bildungsministerium und die fünf Bezirksregierungen in NRW mit der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung um? Und wie ist die Haltung der großen Lehrerverbände dazu? Sicherlich beschäftigt man sich schon intensiv damit, denn es bedeutet doch insbesondere für Lehrerinnen und Lehrer eine gewaltige Veränderung in ihrem Berufsleben, wenn nun alle tatsächlich geleistete Arbeit zeitlich gemessen werden soll. Also nicht nur die reine Unterrichtszeit von ca. 19 Zeitstunden (bei einer Vollzeitstelle am Gymnasium mit 25,5 Wochenstunden), sondern auch die bisherige „Pauschale“ von theoretisch 22 Zeitstunden für die restliche Arbeit.

Die bisherige ungute Praxis   

Diese „Pauschale“ war nach etablierter Rechtsprechung und Auffassung der Ministerialen angeblich lange nicht bestimmbar. So wurden bei Musterprozessen der „Vereinigung der KorrekturfachlehrerInnen e. V.“ (VdKorr) Forderungen nach Deputatsreduzierungen bei besonderes Korrekturbelasteten immer wieder u. a. mit folgendem Passus abgeschmettert:
„Denn nur diese [Unterrichts-]Zeit ist exakt messbar, während die Arbeitszeit der Lehrer […] wegen der erforderlichen Unterrichtsvorbereitung, der Korrekturen […] und dergleichen nicht im Einzelnen in messbarer Form bestimmt, sondern nur - grob pauschalierend - geschätzt werden kann. […]“ (Aktenzeichen 6 A 1353/12)
Antwortschreiben aus dem Ministerium enthielten Formulierungen wie „die von Ihnen empfundene Ungerechtigkeit im System der Lehrerarbeitszeit“ und „das jeweils unterrichtete Fach und ein damit vermuteter Aufwand“. Der objektiv vorhandene zeitliche Mehraufwand durch Korrekturen wurde so zu lediglich subjektiv empfundenen bzw. nur mutmaßlichen Belastungen deklariert.

Lehrerarbeitszeit ist messbar!

Allerdings hatten Lehrerarbeitszeitstudien seit Jahren das Gegenteil belegt und in seinem Aufsatz „Die Arbeitszeit von Lehrkräften: Bestimmbar und unter Druck“ bilanziert der Lehrerarbeitszeitforscher Frank Mussmann 2018: „Das Problem der Unbestimmbarkeit kann nach den jüngsten Methodenfortschritten als überwunden und die Arbeitszeit von Lehrkräften somit als bestimmbar gelten.“ (https://kooperationsstelle.uni-goettingen.de/fileadmin/user_upload/PaedF_2018_04_Frank_Mussmann_Arbeitszeit.pdf).
Die Arbeitszeit der Lehrkräfte gilt also inzwischen als messbar - und z. B. früher noch als unzulässig verworfene Erfassungsmethoden wie Selbstaufschreibungen (von Hand oder per App) werden heute akzeptiert.

„Ist das Arbeitszeit oder kann das weg?“

Das heißt aber nicht, dass diese Arbeitszeiterfassung so simpel ist, dass einfach losgelegt werden kann. Denn natürlich muss bestimmt werden, was alles zur Arbeitszeit von Lehrkräften gehört. Unproblematisch sind wohl z. B. die Korrekturzeiten von Klassenarbeiten und Klausuren, die Teilnahme an Kollegiums- und Fachkonferenzen und Elternsprechtagen und vieles mehr. Schwieriger wird es bei anderen Tätigkeiten - etwa beim Arbeitsaufwand des Deutsch-Kollegen vor der Premiere seiner Theater-AG oder der Mathe-Kollegin mit ihrer Mathe-Olympiade. Ist das Arbeitszeit oder kann das weg? („Du machst das doch gerne und freiwillig!“) Ist das Lesen der neuen Pflicht-Lektüre im Englisch-LK messbare Arbeitszeit? Darf man für die Vorbereitung einer Oberstufenklausur in Französisch wirklich drei Stunden brauchen? Ist eine Gedichtanalyse in einer Deutsch-Eph sinnvoll in 20 Minuten pro Klausur zu korrigieren oder braucht man da im Schnitt schon eher 40 Minuten?
In der Kleinen Anfrage 2558 von Sigrid Beer (Grüne) an die NRW-Landesregierung kurz nach dem EuGH-Urteil vom 14. Mai 2019 heißt es zu Recht: „Die Arbeitsleistung von Lehrkräften ist nicht einfach zu erfassen.“ In der gleichen Anfrage wird auch das fast vollständige Ignorieren von Lehrerarbeitszeitstudien seitens der Justiz kritisiert und zudem indirekt auf den Extra-Zeitaufwand durch Korrekturen verwiesen („Auch die Belastungen der Korrekturfachlehrkräfte war Gegenstand von Debatten“).
Die Arbeitszeiterfassung in der Schule ist also mitnichten ein triviales Problem. Und sie ist wohl auch mit einer längst überfälligen Aufgabenkritik verbunden.

Was ist über den Vorlauf zur Arbeitszeiterfassung zu erfahren?

Wie laufen also die Vorbereitungen zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 14. Mai 2019 (Aktenzeichen C-55/18) bzw. des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. September 2022 (Aktenzeichen 1ABR 22/21), die fordern „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“?
   Da stelle mer uns mal janz dumm und schauen nach auf den Internetauftritten des Ministeriums für Bildung und Schule (MSB), der NRW-Bezirksregierungen und der großen Lehrerverbände, was hier zum Thema Arbeitszeiterfassung heute, am 22. Januar 2023, zu finden ist - ca. vier Jahre nach dem EuGH-Urteil und vier Monate nach dem BAG-Urteil. Achtung, Spoiler: sehr wenig Konkretes!
- MSB: Eine Suche nach „Arbeitszeiterfassung“ auf der Homepage ergibt 0 Treffer, auch die Eingabe von „EuGH“ oder „Bundesarbeitsgericht“ sowie eine intensivere Recherche auf den Unterseiten liefern keine Hinweise darauf, dass und wie man an der Umsetzung dieser Urteile im MSB arbeitet.
- Bezirksregierungen: Auch auf den Webseiten der Bezirksregierungen Arnsberg, Detmold, Düsseldorf und Münster ist hier nichts in Erfahrung zu bringen. Auf der Homepage der Bezirksregierung Köln liefert „Arbeitszeiterfassung“ immerhin 4 Treffer - die sich dann aber auf die Pflicht zur elektronischen Erfassung der Arbeitszeit des Personals in den Einrichtungen beziehen, in denen u. a. aus der Ukraine geflüchtete Schülerinnen und Schüler untergebracht sind …
- Philologenverband NRW: Der Suchbegriff „Arbeitszeiterfassung“ ergibt 0 Treffer. Ein Rückblick auf eine Fortbildung zum Thema „Lehrer als Dienstleister?“ geht allerdings auf die Urteile von EuGH und BAG ein, stellt zu Letzterem klar, dass es „alle deutschen Arbeitgeber zur Einhaltung des EuGH-Urteils bereits heute verpflichtet“ und bilanziert: „Es wird also spannend in diesem Jahr für die künftige Erfassung und Bemessung der Arbeitszeit der Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein-Westfalen und ganz Deutschland!“
- GEW NRW: Schon im Personalratswahlkampf 2020 wird gefordert: „Klare Definition der vom Arbeitgeber geforderten Tätigkeiten, um die vom EuGH geforderte Arbeitszeiterfassung auch für Lehrkräfte an Gymnasien und Weiterbildungskollegs umzusetzen“. Immerhin. Auf einer Infoseite zum BAG-Urteil wird diese Forderung dann wiederholt („Die vom Arbeitgeber geforderten Tätigkeiten müssen klar definiert sein.“) und ergänzt: „Diese Aufgaben sind so zu bemessen, dass sie im Rahmen der geschuldeten Arbeitszeit auch tatsächlich geleistet werden können.“ (https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/erfassung-ja-stechuhr-nein).
- VBE NRW: Keine Treffer beim Suchwort „Arbeitszeiterfassung“ und auch sonst keine Informationen dazu auf der Homepage.
Unter www.news4teachers.de liefert dagegen die Suche einige Treffer, mit Links zu informativen Seiten mit Überschriften wie z. B. „Mit Stechuhr-App zu Hause Klassenarbeiten korrigieren?“
Und informell ist zu hören, dass Bezirksregierungen das Gespräch mit den Personalräten suchen, um zu beraten, wie sich die beiden Urteile am Gymnasium umsetzen lassen.

Konkrete Infos im Internet: Fehlanzeige

Von Behördenseite ist im Internet für die normalsterbliche Lehrkraft ohne Insiderwissen fast nichts darüber zu erfahren, wann und wie die Arbeitszeiterfassung an den NRW-Gymnasien umgesetzt werden soll. Die großen Lehrerverbände haben das Problem zwar auf dem Schirm und sind sich offenbar auch der Herausforderungen bewusst - konkrete Lösungsvorschläge sind aber auf ihren Homepages ebenfalls nicht zu ermitteln. Wobei diese allerdings ja vor allem die Aufgabe des Dienstherrn ist.

Mögliche Gründe für das offenkundige Interesse an Arbeitszeiterfassung in der Schule

Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Arbeitszeiterfassung in der Schule ein wenig populäres Thema ist, mit dem man nicht viel gewinnen kann. Die NRW-Bildungspolitik ist angesichts des eklatanten Personalmangels an den Schulen enorm unter Druck und hat sichtlich keine Eile, durch eine genaue Arbeitszeiterfassung feststellen zu lassen, dass auch die Gymnasiallehrkräfte im Schnitt zu viel arbeiten und entlastet werden müssten. Und PhV und GEW haben vermutlich auch kein allzu großes Interesse daran, dass durch Arbeitszeiterfassung vermutlich die enormen Arbeitszeitunterschiede innerhalb der Kollegien bestätigt werden, die schon die NRW-Arbeitszeitstudie von Mummert + Partner 1999 ergab - dort nämlich zwischen 930 und 3.562 Arbeitsstunden pro Jahr (bei etwa 1.800 Stunden Pflichtarbeitszeit). Wobei die 930 Stunden eher nicht bei den 15 % Lehrkräften mit zwei Korrekturfächern gemessen wurden und die 3.562 Stunden weniger bei den Bio-Sowi-Lehrern …

Fazit: Es bleibt spannend …

Ja, es bleibt in der Tat spannend, wann unser Arbeitgeber das Problem mit der Arbeitszeiterfassung erfasst - und konkret angeht. Hoffentlich noch vor meiner Pensionierung 2037…

Wolfgang Zschocke

 

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